Stormrider - Teil 143
Bei meinen letzten Versuchen im Garten war es mir gelungen, den Käfig von Shaddy abzulenken. Anfangs nur zögerlich – dann gezielter.
Aber das war eine Übung gewesen. Ein Testlauf unter perfekten Bedingungen.
Was uns jetzt erwartete, war das Gegenteil von perfekt.
Wrathion war geschwächt. Vielleicht würde das den Bann schneller reagieren lassen – vielleicht aber auch ihn selbst zu schwach machen, um zu fliehen.
Wenn es funktionierte, wenn der Schwarzdornbann sich auf die Ablenkung stürzte, würde er sich lösen –
Aber was, wenn Wrathion zu kraftlos war?
Was, wenn wir entdeckt wurden?
Was, wenn wir zu spät kamen?
Bei Shaddy hatte es gereicht, dass er zu Nila lief, sobald der Käfig abließ – sie zog sofort einen Schild über ihn, der ihn schützte – dann teleportierte sie sich und Shaddy weg.
Aber Wrathion war kein Kind. Kein Schüler in einem Garten.
Er war ein Drache.
Ein Gefangener.
Und das hier war kein Spiel.
Ich sah ins Feuer.
Spürte den Knoten in meiner Brust.
Ich würde ihn befreien – oder dabei fallen.
Beides war in Ordnung.
Nur Stillstand war keine Option mehr.
Nila rührte sich als Erste. Sie zog einen leuchtenden Kreis auf dem Boden und bat uns, hineinzutreten.
»Damit euch mein Schild nachher durchlässt«, sagte sie leise, fast ehrfürchtig.
Wir zogen uns warm an, denn im Schlund würden eisige Temperaturen herrschen. Wir schulterten unsere Waffen und Rucksäcke, überprüften noch einmal unsere Ausrüstung –
Dann war der Moment des Abschieds gekommen.
Oma hatte Tränen in den Augen. »Bitte bringt mir mein liebes Schätzchen – und euch selbst – wohlbehalten zurück«, bat sie innig.
Wir nickten und umarmten sie zum Abschied.
Dann traten wir durch Nilas Portal nach Oribos. Es war halb eins.
Die Stadtwachen beachteten unsere Gruppe kaum – ganz in Schwarz, bis an die Zähne bewaffnet, ruhig in Richtung Schlund marschierend.
Dann kam der Sturz.
Hinunter – in die Kälte und Schwärze.
Wir landeten mit einem dumpfen Donnern im Schlund –
und mit uns die Entscheidung, dass keiner von uns zurückkehren würde, ohne ihn.
»Nyxondra – es ist lange her«, erklang eine Stimme, die von überall zu kommen schien.
Es war weder Ravina noch Xal’atath.
Nyra lächelte nur kurz.
»Ich hatte sie ganz vergessen. Kommt mit – ich möchte euch jemandem vorstellen.«
Sie stand halb im Schatten.
Keine Augen. Kein Gesicht. Nicht einmal ein Kopf –
Nur eine leuchtende blaue Flamme, die hinter einer hölzernen Maske züngelte.
Nicht wie eine Seele.
Eher wie ein Gedanke, der sich selbst beobachtete.
Ihr Körper war schmal, gehüllt in ein Gewand, das weder Staub aufwirbelte, noch Geräusche machte.
Ihre Bewegungen erinnerten mich an ein Messer, das aus Langeweile mit seiner Schneide spielt.
Ich wusste nicht, ob sie uns ansah –
Aber ich wusste, dass sie ahnte.
Nyra trat vor wie jemand, der mit einem alten Vertragspartner rechnet.
»Leute, das hier ist Ve’nari«, sagte sie ruhig.
»Wen hast du da in mein Haus gebracht?«, entgegnete die Gestalt.
Nicht vorwurfsvoll. Nicht ärgerlich.
Eher … neugierig.
Wie jemand, der ein gutes Geschäft wittert.
Nyra antwortete nicht. Sie legte lediglich ihre Hand auf Ve’naris.
»Ich verstehe«, sagte Ve’nari –
und neigte das, was sie anstelle eines Kopfes hatte, ein wenig.
Die blaue Flamme flackerte kaum sichtbar.
»Du weißt, was das bedeutet?«, fragte Nyra eindringlich.
»Natürlich«, erwiderte Ve’nari –
Und das Lächeln, das ich in ihrer Stimme hörte, erstaunte mich.
»Was ihr sucht, findet ihr ganz oben im Sanktum. Bestens bewacht. Wie euer König damals …
Allerdings … gibt es Ausnahmen.«
Nyra hob die Augenbrauen.
»Nun – es ist einfach. Sie schlafen.«
Ve’nari klang amüsiert.
»Schließlich sind sie nicht wie unser guter alter Kerkermeister.«
Sie kicherte.
»Noch dazu wiegen sie sich in einer gewissen … Sicherheit.
Und ich bin nicht geneigt, diese Illusion zu zerstören.«
Sie wurde ernster.
»Dennoch: Seid gewarnt. Du erinnerst dich an das Sanktum?
Es weiß, was ihr wollt.
Und es wird es euch nicht leicht machen.
Aber letztlich will es nur eines – eine gute Show.«
Man konnte sie beinahe grinsen hören, so belustigt klang sie.
»Danke, Ve.« Nyra nickte ihr anerkennend zu.
»Du hast was gut.«
Ve’nari neigte ihre Flamme leicht.
»Ich wünsche euch viel Glück.
Ihr werdet es brauchen.«
Wir traten aus der Höhle – und erst jetzt hob ich den Blick.
Der Himmel war zerrissen und blutrot. Asche und Staub hingen in der Luft, und es roch scharf nach heißer Schlacke.
Die Geräusche ringsum waren undefinierbar. Fremd. Unwirklich. Als würde die Welt selbst ersticken – und dabei qualvoll sterben.
Ich wusste nicht, was schlimmer war: der Anblick der zerrütteten Landschaft, die sich vor uns ausbreitete – oder der Turm des Sanktums, der sich in der Ferne bis in den Himmel schraubte und zwischen den Wolken verschwand. Dort oben war unser Ziel, und ich hatte das Gefühl, dass dort nicht nur Ravina und Xal auf uns warteten. Und Elune allein wusste, ob wir es je erreichen würden.
Ich rief meine feurige Nima herbei und strich beruhigend über ihre samtigen Nüstern, denn ihr Blick verriet mir, dass sie hier genauso wenig sein wollte wie wir. Wegen des Magiebanns war ich hier nicht in der Lage, meine Drachengestalt anzunehmen, aber immerhin konnte ich meine treue Begleiterin rufen.
Nyra entrollte eine Karte und zeigte uns den Ort, an den wir gelangen mussten. Eine einzige Brücke verband unseren Teil dieses zerbrochenen Landes mit dem des Sanktums.
Ich zog mein Gepäck auf Nimas Sattel noch einmal fest, stieg auf, und die anderen taten es mir gleich.
»Egal, was euch begegnet«, sagte Nyra und drehte ihr pechschwarzes Pferd – das einst dem Lichkönig gehört hatte – zu uns herum. »Kommt nicht vom Weg ab. Egal, was euch ansieht, euch lockt, mit euch spricht – hört nicht zu. Reagiert nicht. Geht einfach weiter.« Sie sah uns eindringlich an. »Das hier ist der Ort, wo die schlimmsten der schlimmen Seelen nach dem Tod landen. Ihr wollt nicht, dass sie euch hierbehalten.«
Wir nickten eingeschüchtert, und das schien sie ausreichend zufriedenzustellen.
»Gut. Gehen wir. – Folgt mir.«
Fortsetzung folgt …
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Stormrider - Part 143
During my last attempts in the garden, I had managed to distract Shaddy’s cage. Hesitantly at first – then with precision.
But that had been practice. A trial run under perfect conditions.
What awaited us now was the opposite of perfect.
Wrathion was weakened. That might make the ward react more quickly – or leave him too weak to escape.
If it worked, if the blackthorn ban pounced on the distraction, it would release –
But what if Wrathion was too weak?
What if we were discovered?
What if we were too late?
With Shaddy, it had been enough for him to run to Nila once the cage let go – she immediately cast a shield over him to protect him – and then teleported herself and Shaddy away.
But Wrathion wasn’t a child. Not a student in a garden.
He was a dragon.
A prisoner.
And this was no game.
I stared into the fire.
Felt the knot in my chest.
I would free him – or fall trying.
Either was fine.
Only standing still was no longer an option.
Nila moved first. She drew a glowing circle on the ground and asked us to step into it.
»So my shield will let you through later,« she said softly, almost reverently.
We dressed warmly, knowing the Maw would be bitterly cold. We shouldered our weapons and packs, checked our gear one last time –
Then it was time to say goodbye.
Grandma had tears in her eyes. »Please bring back my sweet darling – and yourselves – safe and sound,« she pleaded earnestly.
We nodded and hugged her.
Then we stepped through Nila’s portal to Oribos. It was half past midnight.
The city guards barely gave our group a glance – all in black, armed to the teeth, calmly marching toward the Maw.
Then came the fall.
Down – into cold and darkness.
We landed with a dull thud in the Maw –
and with us came the unspoken decision that none of us would return without him.
»Nyxondra – it’s been a long time,« said a voice that seemed to come from everywhere.
It was neither Ravina nor Xal’atath.
Nyra merely smiled briefly.
»I’d almost forgotten her. Come – I want you to meet someone.«
She stood half in shadow.
No eyes. No face. Not even a head –
Only a glowing blue flame flickering behind a wooden mask.
Not like a soul.
More like a thought observing itself.
Her body was slender, cloaked in a robe that stirred neither dust nor sound.
Her movements reminded me of a knife playing with its edge out of boredom.
I didn’t know if she was looking at us –
But I knew she knew.
Nyra stepped forward like someone meeting an old partner in a contract.
»Everyone, this is Ve’nari,« she said calmly.
»Whom have you brought into my house?« the figure replied.
Not reproachful. Not angry.
More … curious.
Like someone sensing a profitable deal.
Nyra said nothing. She simply placed her hand on Ve’nari’s.
»I understand,« said Ve’nari –
and inclined what passed for her head slightly.
The blue flame flickered ever so faintly.
»You know what this means?« Nyra asked intently.
»Of course,« Ve’nari replied –
and the smile I heard in her voice surprised me.
»What you seek lies at the top of the Sanctum. Heavily guarded. Like your king once was…
However … there are exceptions.«
Nyra raised an eyebrow.
»Well – it’s simple. They’re asleep.«
Ve’nari sounded amused.
»After all, they are not like our dear old Jailer.«
She giggled.
»Besides, they believe themselves … safe.
And I’m not inclined to shatter that illusion.«
She grew more serious.
»Still: be warned. Do you remember the Sanctum?
It knows what you want.
And it won’t make it easy.
But ultimately, it only wants one thing – a good show.«
You could almost hear her grin, she sounded so entertained.
»Thank you, Ve,« Nyra nodded appreciatively.
»I owe you one.«
Ve’nari dipped her flame slightly.
»I wish you luck.
You’ll need it.«
We stepped out of the cave – and only then did I look up.
The sky was torn and blood‑red. Ash and dust hung in the air, and the scent of hot slag stung the nose.
The sounds around us were undefinable. Alien. Unreal. As if the world itself were suffocating – and dying in agony.
I didn’t know what was worse: the sight of the ravaged landscape stretching before us – or the tower of the Sanctum, spiraling into the sky and vanishing into the clouds. That was where our goal lay, and I had the feeling that not only Ravina and Xal were waiting for us there. And Elune alone knew whether we’d ever reach it.
I summoned my fiery Nima and gently stroked her velvety muzzle, for the look in her eyes told me she wanted to be here just as little as we did.
Because of the magic ban, I wasn’t able to take on my dragon form here – but at least I could call on my loyal companion.
Nyra unrolled a map and showed us the location we had to reach. A single bridge connected our part of this shattered land to that of the Sanctum.
I tightened the straps on Nima’s saddle once more, climbed on, and the others followed suit.
»No matter what you encounter,« Nyra said, turning her pitch‑black horse – once belonging to the Lich King – toward us. »Don’t stray from the path. No matter what looks at you, tempts you, speaks to you – don’t listen. Don’t react. Just keep moving.« She gave us a long look. »This is the place where the worst of the worst souls end up after death. You don’t want them to keep you here.«
We nodded, intimidated, and that seemed enough for her.
»Good. Let’s go. – Follow me.«
To be continued …
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