Stormrider - Teil 145

Wenig später – es war mittlerweile zwei Uhr dreißig, wie ich nach einem Blick auf meine Taschenuhr feststellte – erreichten wir die unterste Stufe des Sanktums.
Die Treppe, die sich von hier nach oben wand, bestand aus massivem, pechschwarzem Stein. Die Stufen waren unförmig, unregelmäßig – fast so, als hätte sie jemand mit bloßen Händen aus einem Berg geschlagen.

Ich schickte Nima mit einem sanften Lächeln zurück in ihren Stall. Ihre Erleichterung, diesen Ort endlich verlassen zu dürfen, war beinahe greifbar.
Von hier an mussten wir zu Fuß weiter.

Wir zogen die Kapuzen tiefer ins Gesicht, schulterten unser Gepäck und unsere Spitzhacken – und begannen den Aufstieg.
Er war steiler und mühsamer, als es von unten ausgesehen hatte, und als wir endlich das runde Portal erreichten, keuchte ich schwer vor Anstrengung.

Dann durchschritten wir den Portalkreis.

Und wenn ich geglaubt hatte, das Grauen des Schlunds könne nicht übertroffen werden –
das Sanktum belehrte mich eines Besseren.

Es roch nach Tod.
Nach Verfall.
Nach uraltem Elend.

Klagende Seelen waren an die Wände gekettet.
Sie riefen uns wehmütig zu, und mein Herz wurde schwer –
die Gewalt, die man ihnen einst angetan hatte, hing wie ein unausgesprochenes Gesetz in der Luft.
Fast greifbar.

In dunklen Nischen standen seltsame Tontöpfe – bauchig, rissig, voller Schatten.
Dazwischen lauerten Wächter in schwerer Rüstung, regungslos wie Statuen.
Ihre leeren Helme hoben sich kurz, als wollten sie prüfen, wer da an ihnen vorbeiging –
und senkten sich dann wieder, gelangweilt, desinteressiert.
Als wären wir bloß eine Randerscheinung in einer Welt, die längst aufgehört hatte, sich zu kümmern.

Es war surreal.
Ein Ort wie aus den tiefsten Albträumen.
Und wenn wir das hier überlebten, hätte ich für den Rest meines Lebens ein ganzes Arsenal an Gruselgeschichten zum Erzählen.

»Nun …« Carla sah Nyra an und sprach so laut, dass es selbst jemand hätte hören können, der sich im Nebenraum aufhielt. »… Dann lasst uns mal den Aufstieg in Angriff nehmen. Es sind einige Etagen bis ganz nach oben. Aber es lohnt sich – denn die Artefakte, die wir finden werden, sind wirklich außergewöhnlich.«
Als sie geendet hatte, lauschte sie – und erst jetzt wurde auch mir bewusst, welche Geräusche es hier gab.

Ein Klirren, vermischt mit einem scharrenden Kratzen, als würde jemand schwere Ketten über Stein schleifen.
Ein tiefes, nicht enden wollendes Grollen – so, als würde der Turm selbst jeden Moment einstürzen.
Und am schlimmsten: Schreie.
Manchmal ganz nah, manchmal aus der Ferne.
Schreie, die sich in unser Mark schnitten.
Als würde an jeder Ecke eine Seele gequält, gefoltert, gebrochen.

Es nagte an unseren Nerven – und machte uns noch angespannter, als wir es ohnehin schon waren.
Wir warfen einander verstohlene Blicke zu, dann schulterten wir unser Gepäck erneut und begannen den Aufstieg.
Unser Ziel war klar:
Vor Tagesanbruch mussten wir wieder verschwunden sein.
Ravina sollte erst merken, dass wir hier waren – wenn es längst zu spät war.

Wir kamen durch unzählige Räume, auf die immer Weitere folgten, und arbeiteten uns langsam immer weiter nach oben. Manchmal gab es keinen anderen Weg, als das Gebäude zu verlassen und einen Trampelpfad draußen zu nehmen, der um den Turm herumführte. Ich hinterfragte diesen Umstand nicht – es war mir seit dem Betreten dieses elenden Ortes klar geworden, dass der Turm nur seinen eigenen Regeln folgte. Und die basierten nicht unbedingt auf Architektur, wie wir sie kannten.

Ich hatte das Gefühl, dass sich unsere Umgebung jederzeit verändern konnte – leise, unbemerkt. Und dass wir es im schlimmsten Fall nicht einmal merken würden, wenn wir nur noch im Kreis liefen.

»Es will eine gute Show«, hatte Ve’nari gesagt – und tatsächlich wurde das Gefühl immer drängender, beobachtet zu werden.
So musste sich eine Ratte fühlen, die als Versuchstier durch ein Labyrinth lief.
Es gab hier eine Präsenz.
Nicht greifbar. Nicht sichtbar.
Aber da.
Eine, die uns mit einer seltsamen Mischung aus Gleichgültigkeit und Neugier verfolgte.

Draußen begegneten uns andere Geschöpfe als im Inneren des Turms – und jeder Versuch, sie irgendeiner bekannten Form von Leben zuzuordnen, war zum Scheitern verurteilt.

Sie hatten riesige Köpfe, dürre, verzerrte Körper – und wirkten, als wären sie aus verdichtetem Schatten geschaffen worden.
Gesichter hatten sie keine.
Sie strichen an uns vorbei wie Nebel an einem kalten Morgen, lautlos, körperlos – und mir lief jedes Mal ein Schauer über den Rücken, wenn ich ihnen zu nahe kam.
Aber sie schenkten uns keine Beachtung.
Vielleicht waren wir einfach nicht tot genug.

Das Innere des Turms empfing uns erneut mit einem gewaltigen, dunklen Durchgang. Wir traten hindurch – und fanden uns in einem Raum wieder, der aussah wie all die anderen, durch die wir bereits gekommen waren.

»Wartet.« Nyra hob die Hand. »Dort liegt mein Bonbonpapier. Das hab ich vorhin fallen lassen. Wir sind im Kreis gelaufen.«

»Na herrlich«, stöhnte ich. Wir hatten schließlich keine Ewigkeit Zeit, diesen vermaledeiten Turm zu erklimmen.

Nathiel sah sich aufmerksam um. »Es testet uns. Und offensichtlich haben wir bestanden. Ich könnte schwören, diese Tür da drüben war eben noch nicht da.«

Wir liefen dorthin, öffneten sie – und standen vor einem weiteren Korridor. Und noch einem. Es war wie eine nicht enden wollende Symphonie aus grauenerregender Architektur.

Vor einem der Durchgänge versperrte uns eine dieser überlebensgroßen, undefinierbaren Gestalten den Weg. Sie bewegte sich nicht. Keine Geste. Kein Ton. Doch als Nyra einen Schritt nach vorn tat, sprach sie – obwohl sie keinen sichtbaren Mund hatte:

»Passwort.«

Nyra murmelte etwas kaum Verständliches. Die Gestalt löste sich daraufhin in Nebel auf – und verschwand.

Die Zeit lief uns davon. Mit jeder Minute wurde ich unruhiger. Wenn wir Wrathion nicht bald erreichten, war ich nicht sicher, ob wir überhaupt noch eine Chance hatten.

 

Fortsetzung folgt …

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Stormrider - Part 145

A short while later – it was two-thirty, as I saw on my pocket watch – we reached the lowest step of the Sanctum.
The staircase spiraling up from here was made of solid pitch-black stone. The steps were misshapen, uneven – as if someone had carved them from a mountain with bare hands.

I sent Nima back to her stable with a gentle smile. Her relief at finally being able to leave this place was almost tangible.
From here on, we would continue on foot.

We pulled our hoods deeper over our faces, shouldered our packs and pickaxes – and began the ascent.
It was steeper and more grueling than it had looked from below, and when we finally reached the round portal, I was gasping for breath.

Then we stepped through the portal ring.

And if I had thought the horrors of the Maw couldn’t be topped –
the Sanctum taught me otherwise.

It reeked of death.
Of decay.
Of ancient misery.

Wailing souls were chained to the walls.
They called out to us mournfully, and my heart grew heavy –
the violence once inflicted on them hung in the air like an unspoken law.
Almost tangible.

In dark alcoves stood strange clay pots – bulbous, cracked, filled with shadow.
In between, guards in heavy armor lurked, motionless as statues.
Their empty helmets lifted briefly, as if checking who was walking past –
then lowered again, bored, disinterested.
As if we were just a footnote in a world that had long stopped caring.

It was surreal.
A place straight out of the deepest nightmares.
And if we survived this, I’d have an arsenal of horror stories to tell for the rest of my life.

»Well then …« Carla looked at Nyra and spoke loud enough for anyone in the next room to hear.
»… Let’s begin the climb. We’ve got several floors ahead of us. But it’ll be worth it – the artifacts we’re going to find are truly extraordinary.«
Once she finished, she paused to listen – and that’s when I became aware of the sounds surrounding us.

A clinking, mixed with a scraping drag, as if someone were pulling heavy chains across stone.
A deep, endless rumble – like the tower itself might collapse at any moment.
And worst of all: screams.
Sometimes close, sometimes distant.
Screams that cut through to our bones.
As if a soul were being tortured, broken at every corner.

It gnawed at our nerves – and made us even more tense than we already were.
We exchanged uneasy glances, then shouldered our gear again and began the climb.
Our goal was clear:
We had to be gone before daybreak.
Ravina should only realize we had been here when it was far too late.

We passed through countless chambers, with more always waiting beyond, working our way slowly upward. Sometimes there was no choice but to leave the building and take a trail around the outside of the tower. I didn’t question it – ever since we entered this cursed place, it had become clear that the tower followed its own rules. And those didn’t necessarily involve architecture as we knew it.

I felt that our surroundings could change at any moment – quietly, without warning.
And in the worst case, we might not even notice if we were just walking in circles.

»It wants a good show,« Ve’nari had said – and indeed, the feeling of being watched grew more intense by the minute.
This must be how a rat felt, running through a maze under a scientist’s eye.
There was a presence here.
Not tangible. Not visible.
But there.
Watching us with a strange mix of indifference and curiosity.

Outside, we encountered different creatures than inside – and any attempt to categorize them as any known form of life was doomed to fail.

They had enormous heads, thin, twisted bodies – and looked as if made from condensed shadow.
They had no faces.
They drifted past us like mist on a cold morning, silent, formless – and each time one came too close, a shiver ran down my spine.
But they ignored us.
Perhaps we simply weren’t dead enough.

The tower’s interior welcomed us again with a massive, dark passage. We stepped through – and found ourselves in a chamber just like all the others we had already seen.

»Wait.« Nyra raised her hand. »There’s my candy wrapper. I dropped it earlier. We’ve been walking in circles.«

»Oh, fantastic,« I groaned. We didn’t have all eternity to scale this damn tower.

Nathiel looked around closely. »It’s testing us. And apparently, we passed. I swear that door over there wasn’t here before.«

We made our way over, opened it – and were met with yet another corridor. And another.
It was like an endless symphony of nightmare architecture.

At one of the doorways, one of those towering, undefinable figures blocked our path. It didn’t move. No gesture. No sound. But when Nyra stepped forward, it spoke – despite having no visible mouth:

»Password.«

Nyra murmured something barely audible. The figure dissolved into mist – and vanished.

Time was running out.
With every passing minute, I grew more uneasy.
If we didn’t reach Wrathion soon, I wasn’t sure we’d even have a chance anymore.

 

To be continued …

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